Rezension Cornelius Runtsch
Yalla, Feminismus! von Reyhan S¸ahin
Selbstermächtigung im Hip-Hop, Almanya und dem wissenschaftlichen Betrieb

Zur Vorwarnung: leichte Kost ist dieses Buch nicht, zumindest nicht, wenn man wenig bis gar nicht im aktuellen post-migrantischen und feministischen Diskurs Deutschlands eingearbeitet ist. Denn was die Bremer Rapperin und Wissenschaftlerin Reyhan S¸ahin, auch bekannt als Lady Bitch Ray, vorgelegt hat, ist nicht weniger als eine kritische Abhandlung, eine persönliche Abrechnung und ein feuriges Manifest zugleich. Aber eins nach dem anderen…
Aufgewachsen als Kind türkisch-alevitischer Gastarbeiter*innen in Bremen avancierte Reyhan S¸ahin schnell zu einer der ersten feministischen Rapperinnen Deutschlands mit Migrationsbiografie. In den 00er Jahren kannte man sie unter ihrem Künstlerinnennamen Lady Bitch Ray – ein Pseudonym, das viel von dem verkörpert, was S¸ahin ihren eigenen Angaben zufolge ausmacht: eine selbstbewusste, sexpositive Frau, die rappt und sich von niemandem sagen lässt was sie als Frau, „Migrantin“, Rapperin oder Wissenschaftlerin zu tun oder zu lassen hat. Ihrer Terminologie zufolge ist sie eben eine richtige „Bitch“ (engl.: Schlampe; ist bei S¸ahin selbstermächtigend und positiv besetzt), und ihre Philosophie ist der „Bitchism“, die gnadenlos schambefreite Variante eines eher piefigen, „deutschen“ Feminismus.
Der Titel des Buches „Yalla, Feminismus!“ hat bei S¸ahin eine doppelte Bedeutung: zum einen kann das türkisch-arabische „Yalla“, sowohl als „Auf geht’s!“, aber auch als „Hau ab!“ gedeutet werden. Mit dieser bewusst gesetzten semantischen Leerstelle bringt die Autorin dabei das schwierige Spannungsverhältnis zum Ausdruck in dem sie sich als Lady Bitch Ray und ihr „Bitchism“ in Bezug auf den feministischen Mehrheitsdiskurs befindet. Im Buch arbeitet sich S¸ahin systematisch auf feministische Weise an den drei Wirkungsfeldern beziehungsweise Spannungslinien ihrer Biografie ab: deutscher Hip-Hop, deutsche Migrationsdebatten und der deutsche akademische Wissenschaftsbetrieb.
Und gerade das macht ihr Buch „Yalla, Feminismus!“ so spannend, da sie dem*der Leser*in einen systematischen Einblick in verschiedene Bereiche der deutschen Gesellschaft gibt, und ein Gefühl vermittelt, mit welchen jeweils unterschiedlichen Hürden und Ausgrenzungen sie zu kämpfen hatte. In Bezug auf den deutschen Hip-Hop ist dies, wenig überraschend, der übermäßig grassierende Frauenhass sogenannter „Gangsterrapper“. Gekonnt entlarvt S¸ahin in diesem Teil ihres Buches patriarchale Bollwerke im Hip-Hop Betrieb und dekonstruiert sexistische Legitimationsbastionen männlicher Rapper, wie der bekannte Rückgriff auf das „Lyrische Ich“, also der Verweis frauenfeindlich rappender Künstler auf die angebliche Trennung zwischen dem öffentlich gerapptem und dem als Privatperson vertretenen Frauenbild. Auch spart S¸ahin nicht an Kritik gegenüber weiblichen Rapper*innen, die sich nicht selten zu stillen Komplizinnen ihrer männlichen Kollegen machen.
Ebenfalls erkenntnisbringend, wenn auch stellenweise streitbar, ist S¸ahins kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kopftuchdebatte. So ist es als große Stärke zu verstehen, dass die Autorin zunächst für Menschen mit oberflächlichen Islamkenntnissen die Unterschiede zwischen verschiedenen Verschleierungstechniken erläutert, und sie auf emanzipatorische, feministische Potenziale abklopft. Dieser Teil des Buches kann somit als wichtige Bildungsarbeit honoriert werden, da die Diversität und die Komplexität des Koptuchtragens mehr als deutlich wird. Nach dem Lesen dieses Kapitels wird wohl kaum einer mehr von „dem“ Kopftuch sprechen wollen. Nichtsdestoweniger kann S¸ahin nicht überzeugend argumentieren, dass im Kopftuchtragen ein inhärentes, feministisches Potenzial, oder gar eine Form des Punks schlummert, ohne in die Falle einer kulturrelativistischen Argumentation zu tappen.
Im letzten Teil des Buches schildert die Autorin ihre Erfahrungen als Sprachwissenschaftlerin an der Universität Bremen. S¸ahin, die mit der Dissertation “Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs in Deutschland”, promoviert wurde, berichtet eindrücklich von einschlägigen Sexanfragen akademischer Kollegen, ungefragten Psychoanalysen, rassistischer Ausgrenzung oder Tokenisierung – also die Instrumentalisierung ihrer Positionen als „Kronzeugin“ für sämtliche Menschen mit Migrationsbiografie.
„Yalla, Feminismus!“ ist ein kluges und reflektiertes Werk, das sowohl für Außenstehende als auch Teilhabende der Hip-Hop Szene, sowie migrantisch geprägter Gruppen und Wissenschaftler*innen von hohem Erkenntniswert ist. Plastisch schildert S¸ahin ihre Erfahrungen in diesen drei teilweise sehr unterschiedlichen Welten und macht damit die Erfahrungen einer unterrepräsentierten Gruppe sichtbar. Gewisse argumentatorische Schwächen weißt das Buch jedoch stellenweise auf, wenn Kritik am „weißen Feminismus“ oft in eine kulturrelativistische Richtung abdriftet, oder wenn analytisch strittige Begriffe wie „antimuslimischer Rassismus“ kommentarlos eingeführt werden. Auch ist das Buch gespickt mit vielen subkulturellen Ausdrücken, die dem Hip-Hop, dem Türkischen oder dem Englischen entlehnt sind, was trotz eines Glossars den*die ein oder andere*n Leser*in stellenweise überforden kann. Dies soll allerdings niemandem den Mut nehmen, einen Blick in dieses streitlustige Werk zu werfen.

Cornelius Runtsch
Klett-Cotta
1. Aufl. 2019, 316 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-50427-9