Der junge Friedrich Engels in Bremen (1838-1841)

Friedrich Engels (1820-1895) wurde zusammen mit seinem Freund Karl Marx als Revolutionär und Theoretiker der im 19. Jahrhundert sich formierenden sozialistischen Arbeiterbewegung zu einer auch heute noch weltberühmten Person. Als junger Mann lebte er von Mitte August 1838 bis Ostern 1841 in Bremen. Über seinen Aufenthalt in der Hansestadt hat Johann-Günther König eine 600-seitige Monographie vorgelegt, die darauf zielt, „... die wahrlich stürmische Entwicklung des jungen Engels in der Hansestadt so zeit- und quellengerecht wie möglich zu dokumentieren und auszuleuchten, sowie bislang bestehende Informationslücken zu füllen.“


Zeichnung Engels, Verlag
Der Autor untergliedert seine Studie in drei Teile. Im ersten Teil stellt er auf insgesamt 240 Seiten Engels Herkunft und Kindheit in Barmen und seinen Aufenthalt in Bremen dar. Der zweite Teil dokumentiert auf 260 Seiten die in Bremen entstandenen Briefe, Schriften, Übersetzungen und Zeichnungen von Engels, die der Autor der Marx/Engels-Gesamtausgabe (MEGA) entnommen hat. Der abschließende dritte Teil informiert in einem 20-seitigen Überblick kurz über den weiteren Lebensweg von Engels.

Friedrich Engels wurde 1820 in eine großbürgerliche und pietistische Familie hineingeboren. Sein Vater, Friedrich Engels senior, Textilunternehmer in Barmen (heute Wuppertal), drängte seinen Erstgeborenen in eine kaufmännische Ausbildung, damit er danach eine leitende Stellung im väterlichen Unternehmen ausüben könne. Seine in Barmen begonnene Lehre vollendete der Junior beim liberalen bremischen Exportkaufmann Heinrich Leupold. Dessen „Comptoir“ befand sich wie auch das Pfarrhaus der Pensionseltern Engels, die Familie des pietistischen Pfarrers Georg Gottfried Treviranus, in der heutigen Martinistraße.


Textzeichnung Engels,Verlag

Engels war ein eigensinniger und intellektuell aufgeweckter junger Mann, der viel lieber Jura studiert hätte, als das väterliche Erbe anzutreten. Doch sein Vater zwang ihn, in Bremen das von ihm zeitlebens verabscheute „Krämerhandwerk“ zu erlernen. Die Lehre hinderte den Junior jedoch nicht daran, im Geheimen seine literarischen Interessen energisch und zielgerichtet wahrzunehmen. Dazu musste er eine Doppelexistenz führen, die eines „Kommis“ und unter dem Pseudonym Friedrich Oswald die eines Journalisten und Literaten. Königs Darstellung konzentriert sich auf die verschiedenen Aspekte von Engels Doppelexistenz in Bremen.

Dank seines großbürgerlichen Elternhauses verfügte Engels über die nötigen Charaktereigenschaften für die Führung einer Doppelexistenz, nämlich einerseits das ungeliebte „Krämerhandwerk“ ernsthaft zu erlernen, andererseits einen freundlichen Umgang mit seinem Lehrherren und seinen Pensionseltern sowie deren Familien und den Bremer „Philistern“ zu pflegen, die von seiner zweiten Existenz als Friedrich Oswald nichts ahnten. Jenseits seiner Ausbildung und der mit ihr einhergehenden Verpflichtungen nutzte er seine Freizeit neben allerlei Vergnügungen vor allem für das autodidaktische Studium der zeitgenössischen Literatur und Philosophie. Es ist teilweise faszinierend zu lesen, wie es ihm Schritt für Schritt gelingt, sich von seinem großbürgerlichen und pietistischen Herkunftsmilieu zu emanzipieren und sich Schritt für Schritt eine autonome intellektuelle Existenz zu erarbeiten. Dabei erstreckt sich seine Neugier auf die soziale, demokratische und nationale Frage, Volksmärchen, die Literatur des Jungen Deutschland, Philosophie, Religionskritik, das kulturelle Leben, technische Erfindungen, Lyrik und Übersetzungen. Zu diesen Themen veröffentlichte er unter seinem Pseudonym zahlreiche Artikel, etwa für den „Telegraph für Deutschland“ oder das Cotta’sche „Morgenblatt für gebildete Leser“.

Zeichnung Engels, Verlag
Engels Bremer Briefe und Artikel dokumentieren neben seiner schriftstellerischen Produktivität einen angesichts seiner Jugend erstaunlichen intellektuellen Entwicklungsprozess vom mystischen Pietisten zum Junghegelianer, der in seiner literarischen Existenzform als Friedrich Oswald einen bemerkenswerten journalistisch-schriftstellerischen Erfolg hatte, der nicht zuletzt auch ein Resultat seines anschaulichen Stils war. Vielleicht noch erstaunlicher ist seine Verschwiegenheit über seine Erfolge, die er nur wenigen auserwählten alten Schulfreunden mitteilte.

Sowohl in der Darstellung Königs als auch in Engels literarischer Produktion in Bremen erweist sich letzterer als eine autonome Person mit bemerkenswerter Urteilskraft, die ihre intellektuelle Emanzipation unabhängig von den spezifischen Bremer Verhältnissen gemacht hätte, sieht man von der laxen Zensur in Bremen, die den Erwerb anderswo verbotener Literatur erleichterte, ab. Dies unterstreicht auch der kurze dritte Teil des Buches über den Einfluss Bremens auf Engels weiteren Lebensweg. Engels drückt dies in drastischen Worten so aus: „Ich danke Gott, daß ich nun auch dies langweilige Nest verlasse, wo man nichts tun kann als fechten, essen, trinken, schlafen und ochsen, voilà tout.“

König hat, gemessen am eingangs der Rezension zitierten eigenen Anspruch, ein informatives Buch über die intellektuelle Entwicklung und das Leben des jungen Engels während seiner Bremer Jahre vorgelegt. Da die Hansestadt für den intellektuellen Werdegang von Engels lediglich eine marginale Rolle spielt, wäre es ratsam gewesen, das Schwergewicht der Darstellung mehr auf die damaligen geistigen und politischen Verhältnisse und Tendenzen zu legen, als es der Fall ist. König hat sich dagegen dafür entschieden, vor allem die biographischen Hintergründe derjenigen Personen zu schildern, die mit dem jungen Engels in Berührung kamen, obwohl er nach seiner Bremer Zeit keinen Kontakt mehr mit ihnen pflegte. Diese Schwerpunktsetzung macht die Lektüre des ersten Teils streckenweise recht mühsam und zäh.

Johann-Günther König: Friedrich Engels. Die Bremer Jahre 1838-1841.
SachBuchVerlag Kellner. Bremen 2008. 598 Seiten. 39,90 Euro

                                                                                                                                 

Volker Stork