Rezension zu Café Heimat
von Wilfried Grünhagen

Vor einigen Tagen konnten wir in den Zeitungen von einer 200 Mio. €- Spende an die private Universität (IUB) in Bremen lesen, nach dem Firmengründer heißt die Uni jetzt Johann-Jacobs-Universität.
Die berühmte Kaffeerösterei, vom Neffen Walther J.Jacobs in der Nachkriegszeit zur Weltfirma entwickelt, ist heute Teil eines globalen Imperiums.

Ich habe aus den 50ziger Jahren ein Früchte-Quartett mit liebevollen Bildern und Texten aufbewahrt. Hier ein Beispiel der holprigen Verse: „Wie köstlich ist der Himbeertrank. Ich tränk ihn gerne stundenlang.“ Auf der Rückseite wird in schwarz-gelb für den Kaffeeersatz „Jota“ von Jacobs geworben.

Ein Symbol des beginnenden Wirtschaftswunders, in dem zumindest für die „kleinen Leute“ eine 125 gr. Packung mit echtem Kaffee etwas Besonderes war,
Jacobs Kaffee wunderbar.Bremen war auch dank Jacobs mit 40% des Umsatzes weit vor Hamburg die führende Kaffeestadt.
Die Bremer zollten daher dem Unternehmen Walther Jacobs und seinen Mitarbeitern großen Respekt, schreibt die Enkelin Louise Jacobs stolz in ihrer Familiengeschichte „Cafe Heimat“, die 2006 im Ullstein-Verlag erschienen ist. Frau Jacobs, heute 24 Jahre, hat eine beachtliche Familiengeschichte, genauer 2er Familien, vor dem Hintergrund deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert geschrieben
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Mütterlicherseits die Familie Jessurun aus Hamburg, beginnend mit ihrem Urgroßvater Fritz Moritz Jessurun, der als Jude mit Familie vor den Nationalsozialisten fliehen musste und als Fred Milton Jessurun verarmt in New York starb – sowie eben der Geschichte des Bauernsohnes Walther Johann Jacobs aus Borgfeld bei Bremen, der als 2. Sohn den Hof verlassen musste und später zur Legende als Kaffeeröster und Vollblutzüchter wurde
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Borgfeld 1907
Das Geburtsjahr von Walther Jacobs, das Dorf bei Bremen mit strohgedeckten Hütten, die Lehmwände rauchgeschwärzt, mit Postkutsche fuhr man einen halben Tag über die Landstrasse von Lilienthal kommend, Halt am Lehesterdeich und Horn nach Bremen zum

Herdentorsteinweg mit Postamt und Telegrafenstation. Die meisten gingen zu Fuß am Wegrand, selten ein Reiter oder ein Landwagen mit Pferden, im Sommer fährt vielleicht der Heuwagen  hochbeladen zum Hof zurück. Aber es ist kein idyllisches Landleben, eingebunden in den Rhythmus der Jahreszeiten lebt man selbstgenügsam mit wenig Blick für das Geschehen jenseits des Horizontes.

„So lange die Erden stehet, sol nicht aufhören Samen und Ernd, Frost und Hitz,
Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (S.24)

Die Autorin erzählt in anschaulichen Szenen, vielfach in direkten Dialogen von den Begebenheiten, z.B. der Heuernte, die den jungen Jacobs prägte.

Die Kargheit, die Härte, das Unsentimentale prägen Jacobs und sind durchaus nützlich auf dem Weg nach oben und in harten Zeiten; dies stellt die Enkelin immer wieder vor Fragen zu den Prägungen auch der folgenden Generationen.
Das Schweigen über persönliche
Angelegenheiten, oder wie der älteste Sohn sagen wird, die Kinder merken, wenn die Eltern nicht reden. Auch er gilt heute als harter businessman, der seine Bedingungen durchsetzt, z.B. bei der Großspende zur privaten Universität (IUB).
Bedeutsam sind auch die Netzwerke, in denen sich der Aufstieg von der Lehre beim Onkel, im 3. Reich, im Wirtschaftswunder, in Bremer Institutionen wie der Schaffermahlzeit vollzieht.
Der mütterliche Teil der Familie stellt sich völlig anders dar, obwohl ebenfalls großbürgerlich, reich, dem eleganten geselligen in Hamburg Leben zugetan.

Die Familie Jessurun stammt aus der Nacao Portuguesa, einem Verband sepahardischer Juden, der über Lissabon und die Niederlande nach Hamburg kommt. Geeint in der Geschichte immer wieder durch jüdische Herkunft, Randdasein und Verfolgung.Weihnachten 1937 verbringt die Familie die letzte Weihnacht in Deutschland, zum Überleben musste nun alles daran gesetzt werden, Pässe zu erlangen, Schikanen wie Reichsfluchtsteuer zu überstehen.
Auch hier wirken die Netzwerke. Sie dienen buchstäblich zum Überleben im Jahrhundert der Extreme. Der Familie gelingt die Flucht nach Lissabon, später nach New York.
Irgendwann in den 50ziger lernt eine Tochter, die Großmutter der Erzählerin, in Nicaragua einen Bremer Kaufmann kennen, mit dem sie dann nach Bremen zieht.
Die Erzählerin hat sichtlich Spaß daran, Episoden auszuschmücken, wie die Großmutter den Großvater kennen und lieben lernte. Hier schließt sich ein Kreis deutscher Geschichte. Die Enkelin fragt sich allerdings, wie die Großmutter, Amerikanerin und Jüdin, es in Bremen überhaupt ausgehalten hat. Die blasierten Kaffeekranztanten, die nie aus Bremen heraus gekommen waren, deren Verständnis von Kultur bei dem Cafe Knigge begann und damit auch endete. Nicht zu vergessen die Geschichte der Großmutter in einer vornehmen Teerunde, als die neben ihr sitzende „Dame“ doch tatsächlich sagte:“ Ich kann die Juden auf einen Kilometer Entfernung riechen.“
Die völligen Gegensätze der Familien, auch der Temperamente machen den Reiz des Buches aus. Die geschilderten Episoden tragen sicher auch zu neuer Legendenbildung bei, insbesondere zum erfolgreichen Unternehmer Jacobs.

Gelegentlich falsche Zahlen, etwa zu Einwohnerzahlen oder zu Opfern stören etwas, hier ist das Lektorat gefragt, ich weiß, heute nicht mehr üblich, die Zeit usw.
Sie mindern  nicht die Faszination zweier deutscher Familiengeschichten, die die junge Autorin zusammen getragen und erzählt hat.

W.Grünhagen

Dez. 2006